Antarktis |
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In den Monaten Januar und Februar 1999 haben Martin Anwander, Hans Engl, Ursula und ich wieder eine Yacht gechartert, um von Feuerland in die Antarktis zu segeln. Unser Skipper, Hugues (Hugo) Deliguieres, war, wie fast alle Extremsegler, Franzose. Er war als Seemann höchst reputiert; u.a. ist er einige Jahre vorher mit einer 9 m kurzen Yacht allein in die Antarktis gesegelt und hat dort auf seinem Boot mit 50 Kilogramm Müsli und einigen Kilo Honig in bedrückender Einsamkeit überwintert. Ein Abenteuer der besonderen Art, das wenig Nachahmer finden dürfte. Einige Anmerkungen
zur Antarktis: Unser Ziel war dieses Mal der nordwestliche, Südamerika zugewandte Teil der Antarktis, die etwa 1.500 km lange antarktische Halbinsel und die ihr im Westen vorgelagerten Inseln des Palmer-Archipels. Mit Hugo und der Argentinierin Carolina, die nicht nur als Bordfrau fungiert, sondern auch eine versierte Seglerin ist, verlassen wir am 11. Januar 1999 an Bord der Aluminium-Yacht "If" den Hafen von Ushuaia. Auch unser Boot ist nur 12,5 m lang, womit sicher sein dürfte, dass die berüchtigten Stürme der "hurling fifties and sixties" nicht unbemerkt bleiben werden. Wie auf dem Weg zum Kap segeln wir im Beagle Kanal nach Osten bis Puerto Williams, wo die Einklarierung in chilenische Gewässer erfolgt. Dann wird im winzigen Fischerdorf Puerto Toro angelegt, um nochmals die Gaumenfreuden der hervorragenden Centollas zu genießen, ehe die Stürme der Völlerei ein Ende setzen. Morgens um 4 Uhr laufen wir aus. Wir passieren die Nordküste von Lennox. Dann müssen wir nach Süden. Genau von dort kommt aber der stürmische Wind. Deshalb suchen wir Schutz in der an der Ostküste gelegenen Caleta Lennox. Es ist erst 9 Uhr morgens. Den ganzen Tag warten wir auf günstigeren Wind bis wir gegen 22 Uhr in Richtung Drake Passage auslaufen können. Um Mitternacht segeln wir vorbei an dem winzigen sturmumtosten Eiland Evout, einige Stunden später an der Insel Barnevelt. Die See wird, man kann es kaum glauben, immer noch aufgewühlter. Unser Boot ächzt und stöhnt unter der Gewalt des Sturms. Gegen 6 Uhr morgens ist unsere Position ca. 10 Seemeilen südlich von Kap Hoorn, das rund 20 bis 30 Seemeilen westlich von uns liegt. Als der Mast unseres Bootes einige Male fast die haushohen Wellen berührt, wird uns klar, dass sich die Möglichkeiten unseres, für diese Verhältnisse winzigen Schiffchens dem Limit nähern. Unser Skipper Hugo entschließt sich zur Umkehr. Er macht das sicher nicht gern, aber wir sind froh über sein verantwortungsbewusstes Handeln. Unter widrigsten Umständen segeln wir zurück und erreichen gegen 20 Uhr dieses 13. Januars wieder die schützende Caleta Lennox. Riesige Steine fallen uns vom Herzen. Die beiden nächsten Tage bleiben wir in Wartestellung. Die Wetterkarten verheißen nichts Gutes. Wir nutzen die Zeit und machen ausgedehnte Ausflüge auf der unberührten und unbewohnten Insel, die uns unvergessliche Eindrücke vermitteln. Als sich am 16. Januar die Wetterlage gegen Nachmittag bessert, segeln wir am Abend wieder los. Am Anfang ist es moderat, dann wird es immer schlimmer. Der weitere Ablauf gleicht dem obigen wie ein Ei dem anderen. Am Morgen des nächsten Tages müssen wir wieder zurück. Dieses Mal segeln wir bis an die Südküste Feuerlands und ankern nach langem und aufregendem Kampf in einer Bucht nahe der LeMaire-Straße. Wir halten Kriegsrat und kommen zu dem Ergebnis, dass wir unsere Antarktispläne aufgeben und nach Westen zu den Fjorden Feuerlands fahren werden, wenn sich in den folgenden Tagen die Wetterlage nicht grundlegend bessern sollte. Am nächsten Morgen segeln wir zu der westlich von uns gelegenen Insel Picton, die ebenfalls unbewohnt ist. Wir bleiben in der Caleta Banner. Als am Abend die Wetterkarte Besserung verheißt, beschließen wir, es nochmals zu versuchen. Schon um 5 Uhr morgens segeln wir bei ruhigem Wetter los. Am späten Nachmittag erreichen wir die Drake Passage. Die See wird wild und wilder. Etwa 1.000 Kilometer liegen vor uns bis zu den antarktischen Inseln. Trotzdem bleiben wir auf Südkurs und segeln dem "point of no return" entgegen. Teilweise haben wir blauen Himmel, aber der Sturm und die schwere See bleiben unsere ständigen Gefährten. Nach fünf Tagen kommen die Inseln des bereits zur Antarktis gehörenden Melchior-Archipels in Sicht, deren Namen alle dem griechischen Alphabet entlehnt sind. In einer Bucht der Insel Omega wird geankert. Ab jetzt hat uns die Antarktis im eisigen Griff. Wer Antarktis hört oder liest, denkt an unendlich eintönige, nicht enden wollende Eiswüsten, die unter einer Glocke lebensfeindlicher Eiseskälte liegen. Genau das Gegenteil gilt für die Küsten der antarktischen Halbinsel und der ihr vorgelagerten Inseln. Das Landschaftsbild ist unglaublich abwechslungsreich und interessant. Steile Eisabbrüche, die im wechselnden Licht in den verschiedensten Farben glänzen, schroffe Berge und sanft geschwungene Silhouetten flacher von Pinguinen besetzten Inseln beherrschen die Szenerie, soweit das Auge reicht. Besonders erstaunlich ist der Reichtum an exotischen Tieren, die, anders als auf bewohnten Kontinenten, keinerlei Scheu vor Menschen haben, da sie nicht bejagt werden. Wir gehen stundenlang durch kleine und große Kolonien von Pinguinen unterschiedlicher Arten, bewegen uns unter Weddell Robben, See-Elefanten und den immer hungrigen Kormoranen, beobachten gefräßige Skuas, die es auf Pinguinbabys abgesehen haben und nur auf eine Unaufmerksamkeit der Alten lauern. Von den Skuas werden wir mehrmals im Sturzflug mit heiserem Gekreisch angegriffen, wenn wir versehentlich ihren Nestern zu nahe kommen. Wir bewundern unzählige Eisberge, die sich in den unterschiedlichsten Größen und bizarrsten Formen präsentieren. Zwischendurch begegnen uns die seltener gewordenen, teils riesigen Wale, deren Population jedoch dank der Schutzgesetze, stetig steigende Tendenz aufweist. Wir befahren zahlreiche Kanäle, umrunden Inseln und bewundern die sich ständig verändernde Kulisse. Dabei vergessen wir nicht, uns des Lebens zu erfreuen. Unter dieser Devise besuchen wir u.a. die Inseln Anvers und Brabant, durchsegeln den Neumayer Channel, bleiben übernacht in der Dorian Bay, ganz in der Nähe einer riesigen Pinguin-Kolonie, statten Port Lockroy einen kurzen Besuch ab und durchfahren den Peltier Channel und die Gerlache-Straße. Dann kommen wir in den LeMaire-Channel (zu unterscheiden von der LeMaire-Straße, die Feuerland und die Staten-Insel trennt), die gemeinhin als das optische Highlight dieses schönsten Teils der antarktischen Halbinsel bezeichnet wird. Anschließend geraten wir am südlichen Ende von Booth Island unversehens in eine Region, in der wir nicht mehr aus dem Staunen kommen. Wir sind in einem Labyrinth von Tausenden von Eisbergen mit bizarrsten Formen, dazwischen Eisschollen auf dem sich stattliche Leoparden-Robben aalen. Diese Räuber sind mit ihren furchterregenden Gebissen entlang der antarktischen Halbinsel die einzigen natürlichen Feinde der Pinguine. Wenn unser Boot die Eisschollen hin und wieder touchiert, fauchen sie unwillig und drohen mit ihren gewaltigen Hauern. Schließlich erreichen wir Pleneau Island, wo wir ganz in der Nähe des Platzes übernachten, wo Hugo einige Jahr zuvor überwintert hat. Am frühen Morgen des nächsten Tages scheint die Sonne. Der Mt. Scott, der fast 1.000 m aus dem eiskalten Meer ragt und der das klassische Fotomotiv für die Schönheit des LeMaire-Channels ist, präsentiert sich im Licht eines herrlichen Morgenrots. Wir haben in der Zwischenzeit abgesprochen, seine Besteigung zu versuchen. Heute wollen wir erkunden, ob es für uns eine der in der Antarktis seltenen Ausstiegsmöglichkeiten gibt. In den letzten Tagen haben wir festgestellt, dass es meist unmöglich ist, vom Schiff aus, den Kontinent zu betreten. Überall brechen die Gletscherströme oder die Felswände fast senkrecht ab ins Meer. Flussmündungen wie in gemäßigten Zonen gibt es nicht. Wieder fahren wir durch das chaotische Gewirr von Eisbergen und den auf Eisschollen dösenden Leoparden-Robben. Wir queren südlich des LeMaire-Channels bis zur Küste des Festlands. Wir segeln entlang der Steilabbrüche des Mt. Scott. Das Terrain sieht alles andere als einladend aus. Fast geben wir auf, doch am Ende der Duseberg Buttres, die südlich vom Mt. Scott liegt, sehen wir eine Stelle, an der ein Ausstieg möglich sein sollte. Wir fragen Hugo, ob er uns dort morgen absetzen könnte. Er zweifelt zunächst, meint aber nach einigem Zögern, dass es gelingen könnte. Diese recht positive Einschätzung unseres Skippers verbreitet Optimismus und gut gelaunt segeln wir hinüber zu den Argentina-Islands, vorbei an der ehemals britischen Forschungsstation Faraday, die jetzt in ukrainischem Besitz ist. In einer Bucht ankern wir neben zwei französischen Yachten, die ebenfalls aus Ushuaia kommen. Die eine gehört Alain Caradec und die andere dem Skipper und Urvieh Bertrand. Beide sind uns bestens bekannt. Das Wiedersehen wird begossen, unsererseits allerdings in Maßen, denn morgen wollen wir zum Mt. Scott. Schon um 4 Uhr verlassen wir unsere Kojen. Das Wetter ist nicht mehr ganz so gut wie am Vortag, doch wir wollen's versuchen. Kurz vor 5 Uhr fahren wir los zu der am Vortag ausgekundschafteten Ausstiegsstelle. Der Ausstieg selbst ist mehr als abenteuerlich. Hugo fährt das Gummidingi an die Felswand und gibt Gas, damit das Boot nicht zurückfedert. Bei jeder dieser Aktionen muss einer von uns an die Felsen springen und Halt suchen. Nachdem wir alle vier an Land sind, klettern wir einige Meter höher auf ein kleines Plateau, wo wir uns anseilen. Wir haben alle ein flaues Gefühl im Bauch. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, das Dingi ist weg und die Yacht schippert zurück. Zuerst Fels, dann steiles Eis. Nach einiger Zeit wird es etwas flacher und die Verhältnisse schlechter. Neuschnee auf tiefem Altschnee macht uns zu schaffen. Recht anstrengend steigen wir aufwärts, passieren die Einschartung zwischen der Duseberg Buttres und dem Mt. Scott, bis wir schließlich das Ende der Eisflanke erreichen. Wir machen Rast und erkunden den weiteren Aufstieg. Nach einer kurzen Diskussion entschließen wir uns, in der Flanke des von unserem Rastplatz abzweigenden Eisgrats weiter aufzusteigen. Als wir das Ende der Flanke erreichen, liegt vor uns ein messerscharfer Eisgrat. In beklemmender Ausgesetztheit klettern wir über diesen Grat. Sorgfältige Seilsicherung ist nötig. Jeder noch so kleine Rutsch würde tödlich enden. Oft müssen wir uns über abbruchbereite Eiswechten sichern, denn andere Möglichkeiten gibt es nicht. Stunden dauert die hochkonzentrierte Kletterei bis wir einen moderateren Gratteil und über ihn am 29. Januar 1999 den Gipfel erreichen. Die Aussicht ist gigantisch. Hoch über dem tief unter uns liegenden LeMaire-Channel bewundern wir die einmalige Szenerie der antarktischen Berg- und Inselwelt. Fast eine Stunde verbringen wir am Gipfel, ehe wir uns an den heiklen Abstieg machen, den uns die noch sichtbaren Aufstiegsspuren etwas erleichtern. Aber jetzt macht uns das Wetter Sorge. Bewölkung zieht auf. Je tiefer wir kommen, desto düsterer wird es. Ein Phänomen, das wir uns bis heute nicht erklären können. Zu dieser Jahreszeit geht in der Antarktis die Sonne nicht unter. Trotzdem hat man den Eindruck, es herrscht eine geradezu mystische Dämmerung. Ob es eine partielle Sonnenfinsternis ist? Wir wissen's nicht. Als wir die Flanke der Duseberg Buttres hinter uns haben, sehen wir im dämmrigen Licht wieder das Meer. Unzählige Eisschollen entlang unseres Küstenabschnitts. Wir haben Zweifel, ob Hugo uns holen kann. In der Ferne sehen wir schemenhaft eine Yacht. Ob es Hugo ist? Wir befürchten ein Biwak. Ein abscheulicher Gedanke, denn wir sind nass geschwitzt und haben nur dünne Biwaksäcke aus Perlon bei uns, aber keinen Schlafsack oder anderes Daunenzeug. Wir wollten Gewicht sparen. Unter diesen Verhältnissen ein Biwak wäre höchst fatal. Unsere düsteren Gedanken hellen sich auf, als wir sehen, dass die näher gekommene Yacht ein Dingi zu Wasser lässt. Hugo kommt in wilden Kapriolen durch die Eisschollen und scheint entschlossen, uns zu holen. Wir können uns noch nicht vorstellen, wie wir ins Dingi kommen. Nur ein Sprung aus etwa zwei Metern ist die Lösung. Hugo fährt das Boot, wie schon bei unserer Ankunft, gegen die Felswand und auf das Kommando "spring" wird mit den schweren Doppelstiefeln ins schwankende Dingi gesprungen. Ein Gefühl wie Weihnachten. Zweimal muss Hugo fahren, ehe wir wieder alle glücklich an Bord unserer Yacht sind. Wir fahren wieder zurück zur Insel Pleneau, wo wir vor zwei Tagen auf Erkundungstour gegangen sind. Am nächsten Morgen ist wieder herrliches Wetter. Wir gehen auf die Insel und verbringen den Tag unter den vielen Tieren. Wir fotografieren See-Elefanten, Weddell Robben, Pinguine, Kormorane und Skuas. Nach einer ruhigen Nacht segeln wir wieder nordwärts. Dieses Mal entlang der Westküste von Booth Island. Besonders eindrucksvoll ist das Kap Renard mit seinen senkrechten Felszähnen. Wir besuchen die Paradise Bay und segeln nach Norden zwischen Brabant Island und Nansen Island bis zu einer ruhigen Bucht der Insel Enterprise. Dort legen wir am Wrack des norwegischen Walfangschiffes Governeur an und ankern. Das gute Wetter des nächsten Tages nutzen wir und steigen auf die höchste Erhebung unseres Eilands zum Fotografieren. Am Abend wird das Dingi verstaut und die sonst noch notwendigen Vorbereitungen für die Rückfahrt über die ca. 1.000 Kilometer breite Drake Passage getroffen. Alles deutet auf den morgigen Aufbruch hin. Das ändert sich schlagartig, als die Wetterkarte kommt. Ein starkes Tiefdruckgebiet ist über der Drake Passage. Wir müssen bleiben und das bleibt auch am nächsten Tag so. Dann tritt eine leichte
Wetterbesserung ein. Obwohl die Wetterkarte immer noch nichts Gutes verspricht,
segeln wir los. Bei immer ruppiger werdender See segeln wir nach Norden.
Stürme ohne Ende. Sechs Tage und fünf Nächte quält
sich unser kleines Boot durch haushohe Wellen. Das unaufhörliche
Tosen der Brecher hört sich im Boot an, wie wenn jemand unablässig
mit einem riesigen Hammer gegen die Bootswand schlagen würde. Als
wir am 5. Tag in einiger Entfernung Kap Hoorn passieren, wissen wir, dass
die Drake Passage bald hinter uns liegt und das erbarmungslose Heulen
des Sturms hoffentlich ein Ende haben wird. Wir wollten zunächst
wieder die Insel Lennox anlaufen, entscheiden uns aber dann für die
Weiterfahrt bis Puerto Williams. Am Abend des 9. Februar kommen wir etwas
müde aber sehr glücklich an und danken alle Gott. Nach kurzer
Erholungspause gibt es kein Halten mehr. Ab geht's in die Micalvi-Bar
und dann wird gefeiert. Ein großes Abenteuer ist zu Ende. |
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