Besteigung des Mt. Vinson 4.897 m -
höchster Berg der Antarktis


 

Seit 1974 hatte ich immer wieder auf allen nur denkbaren Wegen versucht, in die Antarktis zu kommen, um den höchsten Berg dieses Kontinents, den Mt. Vinson, zu besteigen. Kein Versuch war mir zu exotisch und so hatte ich u.a. Kontakte mit der National Science Foundation in Washington, mit höchsten chilenischen Regierungsstellen über einen ehemaligen Militärattache und mit argentinischen Regierungskreisen unter Einschaltung eines Bundestagsabgeordneten. Den anfänglichen Hoffnungen folgten jedes Mal Enttäuschungen. Bis mich dann im Sommer 1986 mein Schweizer Freund Stefan Wörner anrief und von einem Kanadier berichtete, der ein Expeditionsteam von 7 Mann für eine Mt. Vinson-Expedition zusammenstellen wollte. Wir melden uns und erhalten eine positive Nachricht. Am 16. November 1986 fliegen wir nach Santiago de Chile und dann weiter nach Punta Arenas an der Magellanstraße. Der Weiterflug in die Antarktis sollte mit einer kleinen zweimotorigen Twin Otter erfolgen, die unser Expeditionsleiter in Kanada gechartert hat. Ein reichlich kühner Plan, denn die bisherigen sechs Expeditionen zum Mt. Vinson hatten jeweils weit größere Flugzeuge der Typen Hercules oder DC 3 zur Verfügung. Nach unserer Ankunft müssen wir erfahren, dass die besagte Twin Otter noch nicht hier sei. Vier lange Tage müssen wir warten, bis endlich die Nachricht kommt, die Twin Otter werde noch am Abend eintreffen.

Am nächsten Tag beladen wir unser Flugzeug. Der erste Blick in den Innenraum ist schockierend. Die wesentlichste Einrichtung ist neben einigen, wie es scheint, Kindersitzen ein riesiger Treibstofftank. Durch ihn wird die Reichweite der Maschine erheblich verlängert. Das muss auch sein, denn schließlich liegt vor uns eine fast 3.500 km lange Flugstrecke, auf der ohnehin zum Auftanken zweimal zwischengelandet werden muss.

Trotz allem, am Spätnachmittag des 23. November wird gestartet. Nach ca. 2 Stunden überfliegen wir bei relativ schlechtem Wetter Kap Horn. Nach einiger Zeit wird das Wetter besser. Im strahlenden Sonnenschein - es wird hier im südlichen Sommer nicht mehr dunkel - tauchen glitzernd die ersten Eisberge auf. Der Packeisgürtel kommt näher und offenbart eine ungeahnte Farbenpracht, die vom hellsten Weiß bis zum dunklen Blau reicht. Dann, nach über 5-stündiger Flugzeit (ca. 1.300 km), sehen wir plötzlich die Insel King George, die bereits zur Antarktis gehört. Da die Landebahn schadhaft ist, wird schon die erste Landung zum Abenteuer. Unsere Piloten müssen unseren kleinen Vogel am äußersten Ende aufsetzen und nur knapp reicht der Platz, um das Flugzeug zum Stillstand zu bringen. Anschließend wird aufgetankt.

Vor uns liegt ein fast 800 km langer Flug entlang der Küste der antarktischen Halbinsel bis nach Adelaide Island, wo wir ein zweites Mal auftanken müssen.

Wir fliegen bei bestem Wetter meist über dem nur teilweise gefrorenen Meer in einer Höhe von weniger als 50 Metern zwischen unzähligen Inseln und Eisbergen hindurch, entdecken einen russischen Eisbrecher, begrüßen ihn mit zwei hautnahen Umkreisungen, hüpfen über Gletscherabbrüche und sind vom Erlebten überwältigt. Die etwas größeren Inseln ragen teils mehr als 2.000 m aus dem Meer. Die Berge sind mit wilden Eiskaskaden gepanzert. Ein einmaliges Erlebnis, das erst nach fast vierstündiger Flugzeit ein nicht minder aufregendes Ende findet. Wir landen erstmals mit Kufen auf dem Gletscher nahe der chilenischen Station Carvajal.

In der Station freut man sich über unseren Besuch und belohnt uns mit einem Frühstück bis unser Flugzeug wieder startklar ist. Obwohl wir nun schon länger als 12 Stunden unterwegs sind, drängen unsere Piloten zum Weiterflug, da das Wetter weiterhin hervorragend ist. Sie wollen kein Risiko eingehen und nehmen das letzte Stück, nochmals ca. 1.400 km in Angriff.

Der Start auf Kufen ist nicht weniger aufregend als die Landung. Nach kurzer Zeit erreichen wir das Festland. Auch jetzt vermittelt der Flug atemberaubende Eindrücke, die nach fast 6 Stunden ihren Höhepunkt finden, als die Ellsworth Mountains auftauchen und wir erstmals den Mt.Vinson sehen. Mit viel Geschick und noch mehr Erfahrung dirigiert unser Pilot das Flugzeug durch die Schluchten der mehr als 2.000 m aufragenden Felswände auf die gegenüberliegende Seite des Gebirgszuges, um nach mehreren steilen Kurven auf dem Gletscher zu landen. Wir sind an der Basis unseres Zieles; alle Teilnehmer haben nach diesem unvergesslichen Spektakel, das nun sein vorläufiges Ende gefunden hat, Freudentränen in den Augen.

Jetzt kommt Routine: Flugzeug entladen, Zelte aufstellen, Ausrüstung verstauen.

Unser Basislager liegt auf einer Meereshöhe von ca. 2.200 m, so dass bis zum Gipfel noch eine Höhendifferenz von fast 3.000 m zu überwinden ist. Ein weiter Weg - fast Himalaya-Dimensionen.

Unser erstes Camp errichten wir in einem Gletscherbecken auf etwa 2.600 m. Der Weiterweg führt über ein Col, das wir nach Durchsteigung einer ca. 500 m hohen, bis zu 50 ° steilen Eiswand erreichen. Auf der anderen Seite stellen wir nach einem kurzen Abstieg und einer langen Querung am Fuß eines Eishangs unsere Zelte auf ca. 3.100 m wieder auf. Als wir am Abend kochen, hören wir aus der Ferne, wie unsere Twin Otter startet. Wir wissen, unsere Piloten fliegen zurück nach Punta Arenas, um dort einige Wissenschaftler und Reinhold Messner samt Begleitern abzuholen. Ein höchst sonderbares Gefühl zu wissen, nunmehr ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt völlig allein zu sein. Wir haben nur die Hoffnung, dass keiner ernsthaft erkrankt oder sich verletzt und unsere Piloten die gleiche Meisterleistung nochmals vollbringen.

Bisher hatten wir Wetterglück. Doch in der Nacht weckt uns starker Sturm. Es schneit. Vier ganze Tage hält der Sturm an. Keiner kann ernsthaft daran denken weiterzugehen. Die Zelte sind innen total vereist. Unsere Schlafsäcke gleichen Eisklumpen. Eine fatale Situation, doch auch die Schlechtwetterperiode endet. Der Sturm lässt nach, die Sonne macht erste Versuche, die Wolken zu durchdringen. Sofort brechen wir die Zelte ab und setzen den Aufstieg fort.

Nach einem steilen Eishang folgt ein ungewöhnlich spaltenreicher Eisbruch, durch den wir einen Weg finden müssen. Dies kostet viel Zeit. Die Temperaturen sind jetzt auch für die Antarktis extrem tief. Unsere Bärte sind so stark vereist, dass wir kaum sprechen können. Erst nach 22 Uhr erreichen wir einen geeigneten Platz für unsere Zelte. Dieses Mal sichern wir sie vor Sturm durch Mauern aus Schnee- und Eisblöcken. Erst nach Mitternacht kriechen wir in die Schlafsäcke. Wir schlafen nicht gut. Die Spannung ist zu groß; der Gipfelgang steht bevor und noch 1.200 Höhenmeter trennen uns vom Ziel.

Heute ist der 2. Dezember. Schon um 4 Uhr beginnen wir Schnee zu schmelzen, um Tee zu kochen. Wir sind froh, als wir gegen 6 Uhr endlich losgehen können.

Zuerst ist der fast ebene Gletscher zu queren. Dann kommt ein langer steiler Eishang, dem ein schier endloses Plateau folgt. Jetzt sind wir am Fuß einer steilen Eisflanke. Ihr folgt eine Scharte und der anschließende Felsgrat ist wie so oft in den Bergen, viel länger als wir zunächst gedacht haben. Aber dann erreichen wir den eisgepanzerten Gipfelaufbau. Noch einmal wird es steil, wir sehen einen Skistock, den jemand als Gipfelmarkierung am höchsten Punkt der Antarktis zurückgelassen hat.

Am Gipfel fallen wir uns überglücklich um den Hals und freuen uns riesig über unseren Erfolg. Wir sind die Besteiger Nr. 41 und 42. Stefan ist der erste Schweizer auf dem höchsten Berg des gefrorenen Kontinents und ich bin nach 3 Nordamerikanern der erste Nichtamerikaner und damit natürlich auch der erste Europäer, der die 7 Summits, die höchsten Berge aller sieben Kontinente bestiegen hat.

Der Rundblick ist atemberaubend. Eine regelrechte Fotografierwut befällt uns. Fast eine Stunde bleiben wir am Gipfel, obgleich es bitterkalt ist.

In der kommenden Nacht schlafen wir hervorragend. Die Spannung und der Erfolgsdruck sind uneingeschränkter Zufriedenheit gewichen. Als wir gegen 10 Uhr beim Frühstück sind, kommt Reinhold Messner mit seinen beiden Begleitern. Wir laden sie zum Tee ein und nach etwa 2 Stunden setzen sie ihren Aufstieg fort. Wir hingegen brechen unser Lager ab und steigen in einem Zug mit riesigen Rucksäcken bis ins Basislager ab.

 

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